Sorben

Sorben
Sọrben
 
Plural, auch Wẹnden, sorbisch Serbja, Serby, westslawisches Volk in der Ober- und Niederlausitz (Sachsen und Brandenburg); Nachkommen der slawischen Bevölkerung, die im 6. Jahrhundert im Zuge der Völkerwanderung ein etwa 40 000 km2 großes Gebiet zwischen Saale, Erzgebirge, Oder, Bober, Queiß, Frankfurt/Oder, Jüterbog und Zerbst besiedelte; circa 60 000 Angehörige mit Kenntnissen der sorbischen Sprache; Zentren sind Bautzen und Cottbus; mehrheitlich sind die Sorben Protestanten, etwa ein Viertel Katholiken.
 
 
Die Stammesgruppe der Sorben umfasste etwa 20 Einzelstämme. 631 erwähnte der fränkische Chronist Fredegar erstmals einen Stammesverband der »Surbi«, zu dem mehrere kleinere Stämme zwischen Saale und Mulde zählten und der den heutigen Sorben ihren Namen gab. Weitere Stämme, die größere Gebiete bewohnten, waren die Milzener in der Oberlausitz, die Lusizen in der Niederlausitz, die Daleminzen um Meißen/Lommatzsch und die Nisaner im Elbtalkessel um Dresden/Pirna. Während der kriegerischen Auseinandersetzungen mit Franken und Sachsen (Sorbische Mark) schlossen sich Teile der Sorben dem Reich Samos (650) und dem Großmährischen Reich (890) an. Ende des 10. Jahrhunderts hatten alle sorbischen Stämme ihre politische Unabhängigkeit verloren. Mit der militärischen Eroberung ging die Christianisierung der Sorben einher. Ihm dienten die Mitte des 10. Jahrhunderts gegründeten Bistümer Brandenburg, Meißen, Merseburg und Zeitz/Naumburg. Das Milzenerland, die Stammesgebiete der Daleminzen und Nisaner sowie Gebiete um Zeitz und Merseburg gehörten im 11. Jahrhundert zur Mark Meißen, das Land der Lusizen war der (Sächsische) Ostmark eingegliedert. Durch den massenhaften Zuzug deutscher bäuerlicher Siedler seit dem 12. Jahrhundert erfolgte eine allmähliche Assimilierung der Sorben vor allem in den westelbischen Gebieten, die durch administrative Maßnahmen (»Sachsenspiegel«, Verbot der sorbischen Sprache vor Gericht) gefördert wurde. Das sorbische Sprachgebiet beschränkte sich seit etwa 1500 auf die damals böhmischen Markgrafschaften Ober- und Niederlausitz sowie auf einige nördlich und westlich angrenzende Gebiete.
 
Durch die Reformation wurden alle Sorben mit Ausnahme kleinerer klerikaler Besitzungen in der Oberlausitz protestantisch. Eine von politischen Erwägungen geleitete sprachliche Toleranz in der Oberlausitz und im Kreis Cottbus bewirkte, dass im 18. Jahrhundert eine obersorbische und eine niedersorbische Schriftsprache entstanden. Ende des 18. Jahrhunderts setzte unter dem Einfluss der Aufklärung ein Prozess des nationalen Bewusstwerdens ein, der mit der Entstehung einer sorbischen Nationalbewegung im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte und zur Entfaltung von Vereinstätigkeit, Presse, Volkskultur und Literatur führte (1847 wissenschaftlich-kultureller Verein Maćica Serbska). Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 wurde die nationale Unterdrückung der Sorben forciert. Im Ringen um Selbsterhaltung und in Abwehr deutscher Nationalismen schufen Repräsentanten der Sorben 1912 die Domowina.
 
Die nationalsozialistischen Machthaber beabsichtigten die psychische und physische Vernichtung der Sorben. Sie verboten alle Vereine und Organisationen beziehungsweise zwangen sie zur Einstellung ihrer Tätigkeit, verbannten das Sorbische aus dem öffentlichen Leben und inhaftierten zahlreiche sorbische Persönlichkeiten.
 
In der DDR wurde die Gleichberechtigung der Sorben gesetzlich garantiert (Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung 1948, Verfassungen der DDR). Es entstanden zahlreiche kulturelle, wissenschaftliche und pädagogische Einrichtungen, die einerseits eine umfassende Entwicklung der sorbischen Kultur ermöglichten, andererseits aber in das bestehende gesellschaftliche System eingegliedert und für die SED-Politik instrumentalisiert wurden.
 
u. a. mit der »Stiftung für das sorbische Volk« (gegründet 1991, errichtet per Staatsvertrag 1998) Kultur, Kunst und Heimatpflege v. a. in Gestalt von Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen zu fördern. In den Verfassungen beider Länder von 1992 ist das Recht des sorbischen Volkes auf Schutz, Bewahrung und Förderung seiner Identität und Sprache festgeschrieben. Das sächsische Landesgesetz über die Rechte des sorbischen Volkes vom März 1999 (»Sorbengesetz«; in Ablösung des Gesetzes von 1948) entspricht den internationalen Regelungen zum Schutz von Minderheiten. Die nationalen und kulturellen Interessen der Sorben vertritt die Domowina.
 
Volkskundliches:
 
Das Eigentümliche der sorbischen Volkskultur manifestiert sich besonders in den Sitten und Gebräuchen, weniger in der Lebens- und Wohnweise. Gegenwärtig gibt es noch vier Arten sorbischer Volkstrachten: die Schleifer, Hoyerswerdaer, niedersorbische und katholische Tracht. Zahlreiche Bräuche wie Vogelhochzeit, Maibaumwerfen, Zampern (v. a. Fastnacht), Osterreiten und Verzieren von Ostereiern werden gepflegt. Neben Laienspielgruppen, Chören und Trachtenvereinen widmet sich besonders das sorbische National-Ensemble der Bewahrung der Folklore.
 
 
E. Tschernik: Die Entwicklung der sorb. Bev. von 1832 bis 1945 (Berlin-Ost 1954);
 
Die Slawen in Dtl., hg. v. J. Herrmann (Berlin-Ost 1970);
 
Gesch. der S., bearb. v. J. Šołta u. a., 4 Bde. (Bautzen 1974-79);
 L. Elle: Sorb. Kultur u. ihre Rezipienten (1992);
 
Die S. in Dtl., hg. v. D. Scholze (1993);
 W. Koschmal: Grundzüge sorb. Kultur (1995);
 P. Kunze: Kurze Gesch. der S. (1995).
 

Universal-Lexikon. 2012.

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